Es klingt wie ein 6er im Lotto: Die eigene Tochter tritt in die Fußstapfen der Eltern, bleibt im eigenen Betrieb und kann sich vorstellen, diesen später zu übernehmen. Und ihr Lebensgefährte ist auch noch im gleichen Bereich und derselben Firma tätig. Dieses große Glück ist Harald und Bettina Karstens, Geschäftsführer der Karstens GmbH Dachdeckerei & Zimmerei, beschert.
Früher war es quasi ein Muss, dass der Betrieb der Eltern weitergeführt wird – heute ist diese Frage viel offener. Auch bei der Karstens GmbH Dachdeckerei & Zimmerei wurde offen darüber diskutiert und ein Weg gefunden, der den derzeitigen Geschäftsführer und Vater ruhig in die Zukunft und den späteren Ruhestand blicken lässt. Und selbst wenn sich Tochter Laura doch gegen die Übernahme entschließen sollte, gibt es auch dazu bereits durchdachte, alternative Lösungen. Wir haben mit beiden gesprochen.
Wie kommt es, dass Laura in das Dachdeckerhandwerk eingestiegen ist? Harald Karstens: „Schuld ist eigentlich Maxi-Cosi. Denn als Laura ganz klein war, hatten wir keinen Babysitter und keine eigenen Eltern in der Nähe, die die Betreuung übernehmen konnten. Sie war also bereits in der Babyschale mit dabei und hat unseren beruflichen Alltag mitbekommen…“ Laura Karstens: „…mit all seinen Vor- und Nachteilen. Dadurch hatte ich ein sehr genaues Bild, was mich hier erwartet. Als ich 14 war, habe ich beschlossen, dass ich vom Gymnasium auf die Realschule wechsle, um dort einen besseren Abschluss zu erzielen – um dann in die Ausbildung zur Dachdeckerin zu starten.“
Und das im elterlichen Betrieb? Laura: „Ja, ich fühle mich hier allen sehr verbunden – da war es für mich naheliegend. Ich war und bin dadurch hier sehr tief in allen Abläufen und Strukturen drin. Jetzt mache ich zudem noch eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. Ich möchte auch nicht jahrelang nur auf dem Bau arbeiten – und mich nur ins Büro setzen ohne theoretische Kenntnisse, erscheint mir auch nicht richtig. So habe ich dann beide Seiten kennengelernt. Und insbesondere, was das Thema Personal angeht, finde ich die Berufsschulinfos sehr hilfreich – egal, ob es sich um Verträge oder Kündigungen oder ähnliches handelt.“ Harald: „Und wir kriegen so auch Impulse, was zum Beispiel die EDV angeht. Da haben wir schon einiges geändert, was ich vorher nicht so im Blick gehabt hätte.“
Haben Sie das Ziel, den Betrieb einmal zu übernehmen? Laura: „Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich das so. Ich denke da aber eher Schritt für Schritt – derzeit konzentriere ich mich auf die alltäglichen Aufgaben und meine Ausbildung zur Bürokauffrau.“
2023 ist ein wichtiges Jahr für den Betrieb – denn da können Sie 100-jähriges Jubiläum feiern. Gibt es dann auch Ziele hinsichtlich der Unternehmensnachfolge? Harald: „Dann wäre es schön, wenn der Betrieb auch nach außen in die vierte Generation gehen würde. Ich kann mir vorstellen, dass zunächst meine Frau Anteile an der GmbH abgibt. Und dass wir dann Stühle rücken – ich sitze in unserem Büro derzeit vorne, Laura hinten. Wenn wir wechseln, wird auch visuell klar, dass sie verstärkt zum ersten Ansprechpartner im Unternehmen wird.“
Wie stellen Sie sich die Übergabe des Betriebs vor? Haben Sie sich dazu bereits Gedanken gemacht? Laura: „Das ist ein schleichender Prozess. Ich wachse quasi in die Aufgaben hinein. Ich habe beispielweise anfänglich nur kleinere Rechnungen übernommen – und mache heute die Abrechnung für große Projekte. Da guckt dann eventuell noch einmal mein Vater drüber, aber mir wird so auf diese Weise Stück für Stück Verantwortung übertragen.“
Fällt es Ihrem Vater leicht, abzugeben? Laura: „Auf jeden Fall.“ Harald: „Ich sehe das auch als Chance für mich. Ich glaube, dass in der heutigen Arbeitswelt der Druck und die innere Unruhe viel höher ist als dies früher der Fall war. Wenn ich Aufgaben abgebe, gebe ich auch ein Stück davon ab – beziehungsweise glaube ich, dass die Unternehmensübergabe später durchaus die Möglichkeit bietet, dass ich mehr zu mir finde und dieser Druck wegfällt.“
Möchten Sie nach der Übergabe ganz aus dem Unternehmen ausscheiden? Harald: „Ich richte mich danach, was gewünscht ist. Ich kann mir vorstellen, dass ich noch ein bisschen im Lager helfe, als Springer eingesetzt werde oder die Urlaubsvertretung übernehme. Aber das ist dann die Entscheidung meiner Tochter. Meine Frau kann beispielsweise die Buchführung als Minijob weiterführen und dann Stück für Stück an jemanden übergeben.“
2027 sind Sie 65 – wie stellen Sie sich dann Ihre Rolle vor? Harald: „Ich hoffe, dass ich dann hier im Betrieb nicht mehr gebraucht werde. Ich werde mich dann herausnehmen. Vielleicht werden dann andere Ideen umgesetzt – Ideen, die mir eventuell auf den ersten Blick nicht gefallen, die aber trotzdem gemacht werden. Meine jetzige Sachverständigenarbeit kann ich sicherlich fortsetzen. Vielleicht findet sich auch eine Möglichkeit, wie ich Wissen über alte Techniken weitergeben kann.“
Sie haben selbst den Betrieb Ihres Vaters übernommen? Was würden Sie anders machen als damals? Harald: „Ich bin damals ins kalte Wasser geworfen worden. Mein Vater ist, kurz nachdem ich den Betrieb übernommen habe, gestorben. Er hat sich zwar von Anfang an aus der betrieblichen Führung herausgehalten, jedoch fehlte er mir dann bei Problemen und besonderen Herausforderungen. Ich hatte niemanden, wenn ich Fragen hatte oder jemanden zum Austausch benötigt hätte. Ich möchte da gerne auch nach der Übergabe möglicher Ansprechpartner für meine Tochter bleiben. Und falls es einmal Enkelkinder geben sollte, stehen meine Frau und ich natürlich gerne als Babysitter bereit – und unterstützen da, wo wir können. Denn auch da wäre es schön, wenn sie es leichter hat als wir damals.“
Sie wohnen alle zusammen in einem Haus, dessen Grundstück an das Betriebsgelände grenzt. Ihre Tochter und ihr Lebensgefährte wohnen in der Einliegerwohnung im Haus. Ist da Unternehmensalltag und Freizeit noch trennbar? Harald: „Früher haben wir die Zeit bei längeren Autofahrten – beispielsweise zu den Schwiegereltern nach Baden-Württemberg – oftmals genutzt, um Vorgänge aus dem Betrieb zu besprechen. Laura hat uns da einen Riegel vorgeschoben, als sie klein war, und darauf bestanden, dass wir die Themen trennen. Das gelingt uns heute deutlich besser als damals. Am Freitag haben wir unser eigenes Ritual, um runterzufahren. Wir gehen nachmittags einkaufen, meine Frau und meine Tochter kochen meistens gegen Abend gemeinsam, es gibt Ofen-Käse. Das ist unser Start in das Wochenende.“ Laura: „Bei der Trennung sind mein Lebensgefährte und ich nicht so konsequent – eigentlich geht es ständig um Dinge, die den Betrieb betreffen.“
Ihr Betrieb hat ein sehr junges Team. Welche Vorteile und Herausforderungen ergeben sich dadurch? Harald: „Früher war einfach jeder froh, Arbeit zu haben. Wer etwas anschaffen wollte, kam auf uns zu und bot zusätzliche Leistung an. Dieses System funktioniert nicht mehr. Heute gibt es eine andere Auffassung von Arbeit und Freizeit. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, um auch zukünftig gut aufgestellt zu sein. Wir bemühen uns, Überstunden und Arbeit an Samstagen zu minimieren – beziehungsweise geschehen diese eher auf freiwilliger Basis. Natürlich nehmen wir auch die Sommer- und Winterarbeitszeiten im Dachdeckerhandwerk wahr. Wir nehmen quasi nur Aufträge im Umkreis von 40 Kilometern an – sollte es mal weiter weg sein, ist dies eine Ausnahme. Dadurch sind alle abends zu Hause und müssen nicht während Montage auf Zeit mit der Familie und Freunden verzichten. Da die Langzeiterfahrung bei vielen natürlich fehlt, müssen die Baustellen heute deutlich häufiger angefahren werden als dies früher der Fall war. Es findet also eine andere Betreuung statt. Zugleich sind die Anforderungen generell gestiegen. Die Winterzeit nutzen wir daher auch intensiv für Fort- und Weiterbildungen.“
Was hat sich aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahrzehnten zudem verändert? Harald: „Es gibt vielleicht weniger „Herzblutdachdecker“ wie ich es war, die viele Dinge ohne technische Hilfsmittel realisiert haben. Heute erleichtern Krane die Arbeit deutlich. Auch haben wir jetzt deutlich mehr Maschinen beispielsweise für die Metallbearbeitung eine Kantbank von drei Metern – die Anlage meines Vaters hatte noch ein Meter und da habe ich geholfen, Regenrinnen zu erstellen.“
Wie ist die Übergabe damals von Ihrem Vater zu Ihnen finanziell gestaltet gewesen? Harald: „Bei der Übergabe damals habe ich ihm die Materialbestände abgekauft und das war es. Wer den eigenen Betrieb mit großen Summen verkaufen möchte, steigert nicht gerade seinen Chancen. Schließlich haben junge Menschen eigene Pläne, für die sie das Geld selbst benötigen und nicht erst einmal über Jahre hinweg abzahlen möchten. Bei der GmbH ist jetzt die Übergabe relativ leicht – das geschieht über die Abgabe von Unternehmensanteilen ja recht unkompliziert.“
Wie haben sie selbst finanziell für das Alter vorgesorgt? Harald: „Mir ist wichtig, dass die Kinder nicht zahlen. Aus dem Betrieb besteht eine Pensionszusage. Zudem haben wir Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Das ist alles so kalkuliert, dass ich mich im Alter nicht einschränken muss.“
Lassen Sie Ihre Tochter bereits jetzt mitentscheiden? Harald: „Mitentscheiden ist viel zu wenig. Bei den meisten Teambesprechungen höre ich sowieso nur noch zu. Denn Führen funktioniert heute nicht mehr so wie früher von oben. Entscheidungen sind vielmehr ein gemeinsamer Prozess, an dem alle beteiligt sind.“
Und wenn man sich doch einmal durchsetzen muss? Harald: „Dann fällt dies meiner Tochter mit Sicherheit leichter als mir.“ Laura: „Es wissen schon alle, wenn es ernst wird.“
Welche Möglichkeiten sehen Sie, wenn Laura den Betrieb doch nicht übernimmt? Harald: „Auch darüber haben wir schon gesprochen. Es gibt da mehrere alternative Wege – beispielsweise könnten wir den Betrieb dicht machen und die Gebäude zu Wohngebäuden umgestalten und diese dann vermieten. Natürlich wäre auch die Übergabe an einen anderen Meister eine Option. Grundsätzlich freue ich mich aber natürlich, wenn dies alles theoretische Varianten bleiben und der Betrieb in die vierte Familiengeneration geht. Das soll jedoch nicht mit Druck geschehen, sondern tatsächlich Wunsch meiner Tochter sein.“